WERNER LÜDI

Nachruf zu seinem Tod am Morgen der Sonnenwende 2000
von Cornelia Müller

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Als ungehörten Propheten im eigenen Land empfand sich der Saxophonist Werner Lüdi - dennoch hatten die Puschlaver Glück und auch etliche der zugereisten Gäste, ihn im Trio mit Peter Brötzmann (saxophones), den er sein Alter Ego nannte, und Shoji Hano (drums) im Cinema Rio in Poschiavo so kurz vor seinem Tode noch zu hören.
Es war ein starkes und zugleich feinfühliges Konzert voller Schönheit und Wildheit, Eleganz und Rauheit, Tempo und Beschaulichkeit. Eine freie ungebundene Musik, die sich in rauschende Höhen schwingt, schwebt und stürzt, die ihre eigenen Gesetze spielerisch formuliert im Augenblick ihrer Werdung.

Werner Lüdi ist am 22. April 1936 in Poschiavo geboren und verlebte seine ersten acht Jahre in dem Dorf am Fusse des Sassalbo. Seine musikalische Entwicklung begann in Hamburg: 1962 spielte er in der Band von Gunter Hampel (vibraphon), einer der massgebenden Repräsentanten der deutschen Free-Jazz-Bewegung.
Durch Schwierigkeiten entmutigt, womit Avantgarde-Musiker zu oft zu ringen haben, kehrte er 1966 in die Schweiz zurück, wurde erfolgreicher Werbetexter und fand erst 1981 mit Sunnymoon - Stephan Wittwer (guitar), Leon Francioli (doublebass) und Fredy Studer (drums) - am Jazzfestival in Willisau zur improvisierten Musik zurück. Werner Lüdi spielte rund um den Erdball ausserdem mit Musikern wie Burhan Oeçal (percussion), William Parker (doublebass), Peter Kowald (doublebass), Sainkho Namtchylak(voice), Butch Morris (cornet). Eins der schönsten Vermächtnisse ist die CD mit den drei letztgenannten Musikern: When The Sun is Out You Don't See Stars (FMP CD 38).

Auch als sprachgewandter Erzähler hat sich Werner Lüdi v.a. in der WoZ einen Namen erschrieben. Für seinen Reisebericht "From Russia with Laugh" wurde er 1999 mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet.

Werner Lüdi im Originalton - Auszug aus den Liner Notes der CD Ki (Intakt Records, CD 051) (Der gesamte Text ist im Internet unter http://www.japanimprov.com/hano/disco/ki/ki-linerg.html veröffentlicht):

"... Hano ist das Gegenteil [von Tetsu Yamauchi], raucht und trinkt nicht. Ich beobachte ihn, wie er sich in der winzigen Garderobe mental aufs Konzert vorbereitet. Kopfstand, Stretch-Übungen, Atem- und Schlagtechniken. Er bandagiert sich die Unterarme, zieht sich Reisstrohschuhe an und ein reich besticktes Wams, Stirnband. Hano wünscht sich als Start ein Duo. Hano und ich stehen uns gegenüber, wie ein Sumo-Ringer beschwört er den Raum mit weitausholenden Handbewegungen; schnaubende Atemstösse, ein gellender Schrei--ein erster Schlag auf die TrommeI, ein Brüllen aus den Tiefen des Bariton, und Schlag auf Schlag beginnt der Shinkansen, Japans Geschoss auf Schienen, sich zu bewegen. Das erste Set dauert an die 70 Minuten, 20 Minuten Pause, zwei Tassen Grüntee; danach beginnt das zweite, nicht minder rastlose Set zu fliegen. Hano wechselt jede Viertelstunde sein T-Shirt. Zwischendurch reisst es ihn vom Hocker, die Augen treten hervor, er krümmt und windet sich und kreischt sich die Lunge aus dem Leib. Der schwerbetrunkene Tetsu zieht eine taumelnde Basslinie durch den Taifun, Hano prügelt seine Trommeln, als müsste er ein Seebeben auslösen. Gleich muss der Blitz kommen, so unvermittelt grell, und bevor es Zeit ist für einen zweiten Gedanken, der Donner der Druckwelle. "Was für ein Glück, dass wir noch: leben", denke ich. Die 60 Leute im Lokal toben, einige darunter haben die beiden Sets durchgetanzt.

Auf dem Weg zurück ins Hotel lädt mich Hano zu einem mitternächtlichen Nudelgericht ein. Er will wissen, wie es mir gefallen hat. "Oh, es hatte bestimmt 'ki'." Er bekräftigt: "'ki' steht in Japan zuoberst, wenn es um Musik geht. Oder um Kampfsportarten, Heilkraft usw. 'ki' ist Energie." Ich erzähle, dass wlr uns in Europa etwas schwer tun mit 'ki'. "Bei uns wird das, was ihr 'ki' nennt, oft als Kraftmeierei, als Saurauslassen betrachtet, zu Unrecht", betone ich, "mir wäre lieber, man würde von Hingabe reden." Hano beginnt auf einem Bierdeckel zu schreiben. Nach einer Weile reicht er mir den Deckel. Es ist ein Haiku, eines jener stets siebzehnsilbigen Gedichte, deren Form Japanerlnnen von Kindheit an lernen. Hano sagt langsam: "Mitsubachiwo osoreru hanani miwa naranu." Übersetzt: "Keine Angst vor Bienen. Blüten, die sich vor Bienen fürchten, werden nlemals Früchte tragen."

Ich bin platt. So also zerstreut man mit siebzehn Silben die Unsicherheit und schürt sie gleichzeitig wieder. Hano: "Ein gutes Haiku enthält eine Million Assoziationen. Jeder muss es für sich selbst interpretieren--mit seinem Herzen. Wo bei euch der Verstand, ist bei uns mehr das Gefühl." Dabei ordnet er seine Züge zu jenem Mehrzwecklächeln, das ich in den nächsten vierzehn Tagen gut kennenlernen sollte. ..."

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